Informationen des Bildungsministeriums:
1. Österreich hat sich zur Weiterentwicklung eines inklusiven Bildungssystems verpflichtet.
2008 hat sich Österreich zur Weiterentwicklung der inklusiven Bildung verpflichtet. Das spiegelt sich im aktuellen Regierungsprogramm und im Nationalen Aktionsplan (NAP Behinderung 2012-2020) wider.
Im Nationalen Aktionsplan wurde auch die Einrichtung inklusiver Modellregionen als gemeinsames Projekt von Bund, Ländern und Gemeinden vereinbart. Zur Zeit werden diese in der Steiermark, in Kärnten und in Tirol mit wissenschaftlicher Begleitung eingerichtet. Ziel ist es dabei, die sonderpädagogischen Fördermaßnahmen schrittweise von Sonderschulen in Regelschulen überzuführen, sodass Segregation von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf verringert und mehr Miteinander im Unterricht, in der Pause oder auch in der Freizeit unterstützt wird.
2. Die Sonderschulen werden geöffnet und die sonderpädagogische Förderung bleibt zu 100 % erhalten.
Sonderschulen sollen nicht geschlossen oder abgeschafft werden. Sie sollen jedoch geöffnet werden – sodass auch an diesen Schulstandorten gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Schüler/innen stattfinden kann (das ist zur Zeit gesetzlich nicht möglich, allenfalls im Schulversuch).
Die Frage „Sonderschule – ja oder nein“ suggeriert, dass die sonderpädagogische Förderung generell abgeschafft bzw. eingespart werden könnte. Doch diese Sorge ist unberechtigt. Mehr als 20 Jahre Unterricht in erfolgreichen Integrationsklassen in ganz Österreich zeigen: Die sonderpädagogische Förderung wird in vielfachen Formen des gemeinsamen Unterrichts angeboten – individuell, flexibel, bedarfsgerecht, d.h. den Lernbedürfnissen aller Kinder angepasst.
3. Große Unterschiede zwischen den Bundesländern
Schon heute werden in einigen Bundesländern mehr als 80 % aller Kinder mit Behinderungen nicht mehr an Sonderschulen unterrichtet. Sie sind bereits Teil einer inklusiven Lerngemeinschaft geworden, in der die soziale Teilhabe – unabhängig von der Art der Behinderung, Herkunft, sozialem Status oder Familiensprache – als konkretes Bildungsziel ernst genommen wird. Die Schule leistet so auch einen grundlegenden Beitrag für das Leben in einer vielfältigen, offenen und friedlichen Gesellschaft.
• Beispiel Kärnten: in 7 von 10 Bezirken gibt es keine Sonderschulen mehr und dennoch wurden in diesen Bezirken Unterstützungsstrukturen geschaffen, die den Kindern und ihrem spezifischen Förderbedarf gerecht werden: Einzelassistenz, Kleingruppenförderung, Großgruppenförderung, therapeutische Versorgung, Nachmittagsbetreuung, etc. Aktuell besuchen noch 221 Schüler/innen die verbliebenen Sonderschulen.
• In Niederösterreich ist der Integrationsgrad lt. Statistik Austria lediglich 51,5 %, d.h. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind jeweils zur Hälfte in Sonder- und in Regelschulen (im Vergleich dazu Kärnten: 82,9% oder Stmk.: 80,7 % – Statistik Austria)
• In Niederösterreich haben von 110.000 SchülerInnen 3.787 sonderpädagogischen Förderbedarf, in Oberösterreich sind es von rund 105.000 SchülerInnen nur 1.363.
• In Österreich gibt es insgesamt 290 Sonderschulen, davon befinden sich (93 Schulen – also beinahe ein Drittel – in Niederösterreich (Statistik Austria). Das mag verschiedene Ursachen haben, die in einem Entwicklungsprozess zur inklusiven Schule mitzudenken sind. Hier gilt es besonders, regionale Bedingungen zu verstehen und zu berücksichtigen.
4. Echte Wahlfreiheit zwischen den Alternativen „Sonderschule“ und „Integration“.
In der Resolution wird das Wahlrecht der Eltern zwischen Sonderschule und Integration angesprochen. Betroffene, ElternvertreterInnen, Behindertenverbände und ExpertInnen weisen seit längerem darauf hin, dass in Praxis – vor allem für Eltern von Kindern mit hohem Betreuungs- und Assistenzbedarf – ein echtes Wahlrecht nie verwirklicht werden konnte. Zumeist werden umfangreiche Betreuungspakete nur an Sonderschulen angeboten, nicht aber an Regelschulen – womit de facto keine Wahl der Schulart möglich ist.
Die Lösung liegt jedoch auf der Hand: eine Öffnung der Sonderschulen, ein Bereitstellen von sonderpädagogischer Förderung in inklusiver Form garantiert weiterhin die optimale Unterstützung wie Kleingruppenförderung, Nachmittagsbetreuung und Therapie für alle Kinder, die Recht und Anspruch darauf haben.
5. Was sagt die Forschung?
Kaum ein anderer Bildungsbereich ist in den letzten Jahren so gut beforscht worden wie der Bereich der schulischen Integration – oft in der Hoffnung, Belege dafür zu finden, dass nicht behinderte Kinder dadurch unterfordert und Kinder mit Behinderungen überfordert würden. Nichts davon konnte belegt werden, ganz im Gegenteil: die positiven Langzeitwirkungen schulischer Integration für die soziale und berufliche Situation als Erwachsener sind wissenschaftlich eindeutig bewiesen.
Ergebnisse ausgewählte Studien zeigen:
• Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) an Grundschulen haben signifikant höhere Kompetenzwerte im Lesen, Mathematik und Zuhören als vergleichbare SchülerInnen in Sonderschulen (Kocaj, Stanat u.a., 2014)
• Bei SonderschulabgängerInnen wurden signifikant reduzierte Ausbildungschancen, enge soziale Spielräume und Netzwerke, sowie geringere Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben konstatiert (Längsschnittstudie junger Erwachsener, Häberlin, 2006)
6. Inklusion ist kein Sparpaket – kein Euro geht verloren
Die Forderung nach einem Parallelsystem „Inklusion – Sonderschulen“ sieht auf den ersten Blick vernünftig aus, solange man die Kostenfrage für die weitere Entwicklung außer Acht lässt. Ein gleichwertiges Angebot an Sonderschulen und an Regelschulen ist nicht finanzierbar – und damit nähern wir uns auch nicht einem echten Wahlrecht für die Familien.
Erfahrungen in Kärnten zeigen, dass die Kosten pro Kind in Landessondereinrichtungen 45 x so hoch sind, als wenn ein Kind dezentral – also wohnortnahe – und inklusiv mit denselben Angeboten beschult wird.
Die Beispiele der inklusiven Modellregionen Kärnten, Steiermark und Tirol zeigen auch, dass mit den vorhandenen Mitteln wesentlich bessere – weil kindgerechte, wohnortnahe, pädagogisch wertvolle und pflegerisch umfassende – Angebote bereitgestellt werden können. Inklusion ist also weder ein Sparmodell noch unfinanzierbar – das Geld ist im System vorhanden, es braucht aber die Bereitschaft zur Umschichtung.
7. Pädagogische Qualität
Statt der Zuspitzung „Sonderschule beibehalten oder abschaffen?“ gilt es, sich verstärkt auf die pädagogischen Qualität zu konzentrieren. Die Praxis der Inklusion kennt dafür viele Varianten – vom gemeinsamen Unterricht für alle bis zur Arbeit in kleinen Gruppen, von maßgeschneiderter Unterstützung beim Erlernen der Unterrichtssprache bis hin zu Phasen der Eins-zu-eins-Betreuung durch speziell ausgebildetes Personal.
Erklärtes Ziel sollte sein, dass die Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität der Inklusion auch in Österreich dazu führen wird, dass Sonderschulen schließlich nicht mehr gebraucht werden – so wie das etwa in Südtirol seit vielen Jahren der Fall ist.
Quelle: NÖ GVV Verband sozialdemokratischer GemeindevertreterInnen in NÖ